Flurnamenkarte Serfaus: Die Vergangenheit fest verortet
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Die Namen sind mitunter recht schwer auszusprechen – vor allem für jene, die keinen Tiroler Dialekt beherrschen: Heramipl, Voadr Tusna, Obr Tschiargli, Lazi Kreizlå. All diese Begriffe (und noch viele mehr) bezeichnen Weidegründe, Wiesen, Ortsteile, mitunter auch Berge, Almen, Brunnen, Wasserwaale oder Andachtsplätze wie Marterl oder Kreuze. Mehr als 1000 von ihnen haben Georg und Julian Mangott in ihrer Flurnamenkarte detailgenau verortet. Eine jahrelange Arbeit: „Begonnen haben wir mit unserer Arbeit im Jahr 2014. Richtig in Schwung gekommen ist das Projekt aber erst im Sommer 2020, nach dem ersten Corona-Lockdown. Da hatten wir dann plötzlich viel mehr Zeit“, erinnert sich Julian. Der 28-Jährige ist der Enkel von Georg Mangott und hat das Mammutprojekt gemeinsam mit seinem Opa umgesetzt. Präsentiert wurde die Karte schlussendlich im Herbst 2022, nach unzähligen Arbeitsstunden.
Aus dem Lebenslauf wurde eine unendliche Aufgabe
Es war Georg Mangotts Idee, die Flurnamenkarte zu aktualisieren. „Begonnen hat alles damit, dass ich meinen Lebenslauf aufschreiben wollte“, sagt der 81-Jährige. Der Altbürgermeister von Serfaus stammt ursprünglich aus Spiss und zog mit vier Jahren gemeinsam mit seinem Vater nach Serfaus. Später war er als Hirte auf den Weiden rund um Serfaus unterwegs. „Als ich meinen Werdegang aufschreiben wollte, fiel mir bei der Recherche auf, dass viele Flurnamen auf der bestehenden Karte nicht korrekt sind.“ In Gesprächen mit anderen älteren Mitbürgern aus Serfaus bestätigte sich das Bild. „Anfangs habe ich nur nach den korrekten Namen der Weidegründe gesucht. Diese Aufgabe ist dann ins Unendliche gewachsen“, erzählt Georg. Also holte er seinen Enkel Julian zu Hilfe.
Viele Gespräche – und wichtige Kompromisse
Während Georg die Recherche übernahm und mit zahlreichen Grundstückseigentümern, Bauern, Hirten und älteren Serfausern über die Flurnamen sprach, war es Julians Aufgabe, die Karte zu digitalisieren. Nicht immer waren sich die Befragten dabei ganz einig, wenn es um die korrekte Bezeichnung ging: Dann wurden bestehende Karten verglichen. „Wurden zwei Namen genannt, die auf keiner Karte bisher aufschienen, dann haben wir mitunter beide Namen in unser Dokument aufgenommen“, sagt Julian. Auch bei den Schreibweisen der Orte musste ein Kompromiss gefunden werden: „Würde man es ganz korrekt machen wollen, müsste man für die Dialektbegriffe ein eigens entwickeltes Alphabet verwenden. Das ist aber für Laien nur schwer zu entziffern. Deshalb haben wir uns für einen Kompromiss aus Genauigkeit und Einfachheit entschieden und die Flurnamen möglichst wortgetreu aufgeschrieben“, erklärt Julian.
Genau begutachten kann man die Flurnamenkarte online oder in gedruckter Form: Sie sind im Info-Büro Serfaus erhältlich, eine große Karte hängt auch im Gemeindeamt in Serfaus aus.
Zeitreise in die Vergangenheit
Beim Blick auf die Karte fallen gleich die verschiedenen Farben auf, mit denen die Weidegebiete gekennzeichnet sind. Je nach Alter, Art und Geschlecht der Weidetiere gab es unterschiedliche Gebiete und die Farben zeigen, wo unter anderem Sommerkühe (die jeden Tag in Stall zurückkehren) weiden durften und wo Almkühe ihren Sommer verbringen konnten. „Alle Weidegründe bis an den Grenzort Spiss sind eingetragen“, erzählt Georg. So kann man in der Karte auch Hinweise auf die bewegte Vergangenheit in der Region entdecken: „Weil die Schweiz in einer Tagestour von Serfaus aus erreichbar ist, war das Gebiet auch für Schmuggler interessant. Die zwei wichtigsten Schmugglerrouten sind in der Flurnamenkarte eingezeichnet“, verrät Georg. Einen Hinweis auf diese Zeit geben auch Hüttenbezeichnungen wie „Finanzrhitta Zondrs“ (also eine Hütte, in der Zollbeamte stationiert waren), die im gleichnamigen Gebiet „Zondrs“ verortet ist.
Milchtschudr UND Beischl Köpfla
Überhaupt gibt die Flurnamenkarte interessante Details preis: „Im Låder Moos gibt es zum Beispiel den ‚Milchtschudr‘. Dieses Gebiet heißt so, weil Kühe, die man untertags auf diesen Almgrund getrieben hat, abends besonders viel Milch gaben.“ Der Name Beischl Köpfla in der Nähe der Lawensalpe ist ebenfalls durch die Viehhaltung geprägt: „Hier gab es besonders aggressive Fliegen, deren Larven sich ins Kuhfell eingenistet haben. Das hat die Kühe dort ganz nervös gemacht. Haben sie die Fliegen gehört, wollten sie ihnen durch Weglaufen entfliehen und sind im sehr steilen Gelände regelmäßig abgestürzt und zu Tode gekommen. Deshalb gabs dann am Abend Beuschl“, erzählen Julian und Georg.
Auch im Ortsgebiet von Serfaus sind alte Flurnamen eingezeichnet. Neben Bezeichnungen wie Gänsacker oder Muira, die heute noch verwendet werden, gab es früher zum Beispiel die „Beitlr Umkehr“ am Ende der heutigen Untergasse: Früher mussten Bettler, die nach Serfaus kamen, hier wieder umkehren, denn sie waren am Ortsende angelangt. Auch die Mullawiese (oder auch Heraånger genannt), wird heute noch so bezeichnet. „Der Bauer, der den Gemeindestier den Winter über gehalten hat, durfte diese Wiese als Entschädigung mähen. Daher stammt der Name“, sagt Georg. „Viele Begriffe der Flurnamen kommen aus dem Rätoromanischen. Eine genaue Aufarbeitung der Bedeutung wäre aber ein zweites Projekt. Da kennen wir uns zu wenig aus, da braucht man Fachwissen dazu“, sagt Julian. Für ihn war die Flurnamenkarte eine schöne Gelegenheit, mit seinem Opa an einem gemeinsamen Projekt zu arbeiten. Und Georg war froh um die Unterstützung: „Ohne Julians Hilfe hätte ich das nicht umsetzen können.“ Auch für die Serfauser Bevölkerung ist die Karte wichtig: „Die meisten der jungen Leute kennen die Bezeichnungen nicht mehr und auch bei den Älteren werden es immer weniger. Deshalb ist es gut, dass wir die Namen festgehalten haben“, meint Georg. Wir finden: Unbedingt!
Wenn du die Flurnamenkarte auch studieren willst, kannst du dir gerne ein Exemplar im Tourismusbüro abholen oder die Karte im Gemeindeamt ansehen oder bequem online darauf zugreifen:https://chronik-serfaus.at/flurnamenkarte/