Wenn Wände sprechen könnten...
Wenn Wände sprechen könnten... Was hätte dieses alte Mauerwerk wohl alles zu erzählen? Das denke ich mir beim Betreten vom s’Paules und s’Seppls Haus in Fiss, welches mittlerweile die Heimat des Museumsvereins Fiss ist. Ulrike Wachter, welche von allen nur Ulli genannt wird, empfing mich in der rustikalen Stube und berichtete bei der exklusiven Führung durch das Museum vom „Leba amea“ (Tiroler Dialekt für „das Leben früher“), von Geschichten und Mythen.
Die Geschichte des Hauses
Das s’Paules und s’Seppls Haus zählt zu den letzten unveränderten Zeugen bäuerlicher Baukultur im Tiroler Oberland und ist eine Besonderheit am Hochplateau Serfaus-Fiss-Ladis. Über Jahrhunderte wuchs der Bau zum klassischen Oberinntaler Durchfahrtshof heran und erreichte im Barock das heutige Aussehen. Charakteristisch für das Tiroler Oberland bzw. das Obere Gericht (als Region Oberes Gericht bezeichnet man das Gebiet von Nauders bis Fliess) war einst die Realteilung. Unter der Realteilung versteht man die Aufsplitterung des Besitzes nach unmittelbaren Nachkommen. Dies betraf damals nicht nur landwirtschaftliche Nutzflächen, sondern auch Haus- und Hoflagen.
Geteilt und doch gemeinsam leben
Der Baubeginn des Hauses geht geschichtlich auf das Jahr 1411 zurück. Die letzte Familie verließ das Haus im Jahre 1983. Dazwischen gab es zahlreiche Um- und Zubauten am Haus. Gäste können heute bei der Museumsführung die Entwicklung des Hauses in einem Film bestaunen.
Die letzten Bewohner des Hofes, die Familien Pale und Pregenzer, lebten mit bis zu 20 Personen unter einem Dach. 1963 verließ Familie Pale („s’Paules“ – Paul Pale) das Anwesen. 1983 zog auch die Familie Pregenzer (=“s’Seppls“ – Josef „Sepp“ Pregenzer) aus. Es war ein gemeinsames Wohnen und Wirtschaften ohne große Privatsphäre. Die letzten Bewohner sind auch noch auf den Raumbeschriftungen im Museum abzulesen. Dort wurde, so gut es ging, zwischen „Räumlichkeiten Familie Pale“ und „Räumlichkeiten Familie Pregenzer“ getrennt.
Isidor Pale – Ein ganz besonderer Hausbewohner
Zahlreiche Geschichten und Mythen ranken sich um Isidor Pale – einem ganz besonderen Hausbewohner, dem im heutigen Museum eine Hörstation gewidmet ist.
Isidor Pale wurde am 8. Juli 1887 geboren und verstarb im Jahre 1968 im Kloster in Ried. Bis 1961 lebte er im s’Paules und s’Seppls Haus. Überlieferungen berichten über seine Arbeit als Totengräber und als Nachtwächter oder wie er die Dorfkinder mit Schokolade und seinen Erzählungen beeindruckte.
Isidor Pale führte Tagebuch mit Texten, die an den Dadaismus erinnern.
Er hinterließ seine Niederschriften nicht nur in Heften. Auch auf Mauern, in Kammern und auf Holzstadeln im Dorf waren seine Texte zu lesen. Doch oftmals sehr unleserlich, da er mit Bleistift sehr klein und eng geschrieben hatte.
Isidor hatte weitere ungewöhnliche und teils fast schon unheimliche Angewohnheiten. So hatte er stets Totenschädel in seinem Zimmer mit welchen er kommunizierte. Diese nahm er auch täglich im Rucksack mit auf seine Arbeit als Totengräber und Nachtwächter. Noch heute existiert eine Tonbandaufnahme einer seiner mystischen Predigten, welche einem teilweise das Blut in den Adern gefrieren lässt.
Ulli lachte und meinte: „Jedes Schloss hat sein Gespenst. Wir haben Isidor.“
Über den Museumsverein und seine Gäste
Nach der Führung setze ich mich mit Ulli in die Stube und sie erzählte mir, was heute im Museum so los ist.
„Von 1983 bis 2002 stand das Haus leer. Wegen der Unberührtheit wurde der Hof vom Landeskulturfond bei der Subventionsunterstützung erworben und später der Gemeinde übergeben. Seitdem wurde das Haus konserviert und vom Museumsverein in unzähligen Arbeitsstunden gepflegt. Seit Oktober 2012 ist dieses besondere Museum zu besichtigen.
Seitdem bieten wir in der Saison jede Woche mehrere Museumsführungen (darunter auch eine Kinder- und Familienführung) an. Auch die Gästeehrungen mit Videovorführungen finden in diesem einmaligen Ambiente ihren Platz. Im Museumsshop gibt es regionale Köstlichkeiten zu erwerben.“
Nach der Frage, was für Ulli das Schönste an den Führungen sei, meinte sie: „Das Lob und die staunenden und verblüffenden, manchmal auch ängstlichen Gesichter der Besucherinnen und Besucher. Viele können sich heute nicht mehr vorstellen, wie die Bauernfamilien „amea“ lebten und arbeiteten. Viele Gäste sprechen auch vom „faszinierenden“ und „einmaligen“ Geruch, welcher einem in die Nase steigt, wenn man die Räumlichkeiten betritt. Und man merkt auch, dass ganz viele Besucher den „Huangart“ (informatives bzw. zwangloses Gespräch mit Einheimischen) suchen und oft stundenlang sitzenbleiben und reden. Auch das verbinden viele Gäste mit einem unvergesslichen Urlaub bei uns in Serfaus-Fiss-Ladis.“
Abschließend meinte Ulli noch: „Wir sind ein ‚lebendes Museum‘. Man kann alles anfassen und es gibt nur eine Vitrine. In dieser werden die Tonbandaufnahmen von Isidor aufbewahrt. Und ich empfehle jedem, warme Kleidung mitzubringen, denn im Museum kann es ganz schön kalt sein.“
Führungen und die Nutzung des Backofens
Im s’Paules und s’Seppls Haus werden nicht nur interessante Führungen angeboten. In der Sommersaison wird jeden Donnerstag von 9.00 bis 12.00 Uhr im Backofen Feuer gemacht und frisches Brot gebacken.
Auch der Backofen hat seine Eigenheit. Dieser stammt aus dem 16. Jahrhundert, ist an der Nordostecke des Hofes angebaut und mit einem Pultdach versehen. In Fiss ist diese Form eine Ausnahme.
Fazit
Die Führung durch das Museum hat mich begeistert, berührt und nachdenklich gemacht. Heute kann man sich den früheren Lebensstil kaum mehr vorstellen. Die alten Räumlichkeiten und der unverkennbare Geruch im Raum sorgen für eine ganz besondere Atmosphäre und die Geschichten von Isidor für Gruselmomente.