Ladis und sein rätoromanisches Flair
Was mich bei meinem allerersten Besuch dieses wunderschönen Ortes in Entzücken versetzte, war das Dorfzentrum. Uralte Häuser mit wunderschönen Fresken bilden ein einzigartig wunderschönes Ensemble. Man hat teilweise das Gefühl, die Zeit sei hier stehen geblieben. Vermutlich auch deshalb, weil die Gemeindebürger ganz offensichtlich viel dafür übrighaben, das mittelalterliche Flair zu erhalten. Außerdem verfügt die kleine Gemeinde über ein vom Chronisten Robert Klien erstelltes, geradezu sensationell gestaltetes Dorfbuch.
Das Rechelerhaus, ein Haus wie eine Perle
Das Rechelerhaus: das älteste bemalte Haus im Oberen Gericht. Das über und über mit Fresken bemalte Rechelerhaus ist spätromanischen Ursprungs. Es zählt heute zu den bedeutendsten Profanbauten des Oberen Gerichtes und zu den schönsten seiner Art in Tirol.
Ursprünglich bestand es aus zwei kleinen gemauerten selbständigen Bauten, auf dem je ein aus Holz errichteter Oberstock ruhte. Beide Häuschen dürften beim Einfall der Appenzeller Bauern 1406 niedergebrannt worden sein. Dendrochronologische Untersuchungen (das sind Analysen der rhythmischen Zuwächse von Jahresringen der Bäume) haben ergeben, dass die beiden Häuser 1410 wiederaufgebaut und um etwa 1475 miteinander verbunden worden sind.
Was man bei ungenauem Hinsehen als ein ‚Plumpsklo’ am Rechelerhaus taxieren würde stellt sich als eine Besonderheit heraus. In Ladis wachsen Brotbacköfen quasi aus den Häusern heraus. Das war für die damalige Zeit eine Innovation, denn die Öfen konnten von der Rauchkuchl aus beheizt und bedient werden.
Das Stockerhaus, das Haus mit dem Seelenloch
Einige Meter vom Rechelerhaus entfernt entbietet das Stockerhaus seine üppig mit Fresken bemalte Eingangsfront. Es hat vor allem durch seinen originellen Erker Eingang in die Architekturgeschichte des Oberen Gerichtes gefunden. Ich habe immer noch das Gefühl, als wenn das Haus zu seinen Betrachtern spricht. Sie sogar teilweise auf die Schaufel nimmt. Die vermutlich um 1626 in Secco-Technik ausgeführten Fresken bieten einen Querschnitt durch das Alte und Neue Testament. Aber nicht nur das: Auch lustige, ja geradezu arabeskenhafte Details zieren die Hausfront. Wie etwa links oben eine Darstellung eines Überfalls, bei dem ein Wegelagerer einen Reiter vom Ross zerrt. Der Mann rechts des Pferdes amüsiert sich jedoch. Ist es vielleicht die Darstellung des Sprichwortes: „Wer den Schaden hat muss sich um den Spott nicht sorgen“? Möglich aber auch die Weisheit, wonach Hochmut vor dem Fall komme.
Der Erker des Stockerhauses ist seine eigentliche Attraktion. Er wird, weil eher flach gehalten, in seiner Wirkung von plastisch vortretenden Baudetails verstärkt. Und unmittelbar oberhalb der Türe, also am Fuß des Erkers sind die Bauherren genannt: „Das Haus hat erpaut Urban Bale und sein Hauß fraw Kattarina Jemchin“. Robert Klien nimmt an, dass Gattin Katharina wahrscheinlich aus dem Engadin stammte. Ja - und das Fensterchen über dem Türbogen ist vermutlich nicht nur ein Lichteinlass für den Hausflur, meint Klien. Es könnte auch - ganz in der Tradition der Engadiner Häuser - als „Seelenloch“ gedient haben, durch die die Seelen verstorbener Hausbewohner die Reise gen Himmel antraten.
Auch das gibt’s in Ladis: Die Römerstraße als Hauseingang
Zwei weitere uralte Häuser zieren - etwas abseits der heutigen Straße - das Ortszentrum. Das Gebäude des Gemeindeamtes und das ehemalige Gasthaus Rose. Vor allem das Gemeindehaus belegt eindrucksvoll das Bestreben der Gemeinde Ladis, ihr uraltes Kulturgut auf alle Fälle zu erhalten. Denn das Haus wurde - gemeinsam mit dem angebauten Gasthof Rose von der Gemeinde aufgekauft, abgetragen und neu aufgebaut. Wobei die Baumassen, also die Kubatur, erhalten geblieben ist. Ebenso wie die Fresken, die erst abgelöst und dann auf den Neubau übertragen worden sind. Respekt!
Bei einem architektonischen Rundgang durch Ladis sollte man noch unbedingt die beiden Häuser ‚auf der Platte‘ besichtigen. Die beiden Häuser sind über Eck zusammengebaut, das Haus Nr. 1 ist über 1.000 Jahre alt. Beide Häuser weisen wiederum ein bestimmendes Merkmal rätoromanischer Häuser auf: Der Zugang ist nur durch den Durchfahrtsflur im Wohnhaus möglich. Mit dem Flur verbunden ist eine andere, nahezu unglaubliche Geschichte: Just hier soll eine alte Nebenstraße der römischen Via Claudia Augusta verlaufen sein. Man bewegt sich also auf uralten Pfaden, wenn man das Haus Nr. 3 betritt. Sehenswert ist auch die Konstruktion des am Haus Nr. 3 angebauten Stalls, der uralte Zimmermannstechniken widergibt.
Kult-Urlaub in Ladis
Für mich ist es zur lieben Gewohnheit geworden, Urlaub in Orten zu machen, die ihrer eigenen Geschichte sensibel und vor allem positiv gegenüberstehen. Ladis gehört zu jenen handverlesenen Orten, die ich schon vor Jahren in meine Urlaubspläne aufgenommen habe. Und das nicht nur im Sommer. Denn auch im Winter ist es angenehm, von architektonischer Schönheit umgeben zu sein.
Empfehlenswerte Lektüre: LADIS, von Robert Klien. Das Dorfbuch ist am Gemeindeamt erhältlich.