U-Bahn Serfaus - Ein Rückblick - Teil II
Meiner Einschätzung nach, interessierte sich die Dorfbevölkerung sehr für die Bauarbeiten des neuen Transportmittels und standen dem Großprojekt prinzipiell sehr positiv gegenüber. Gegensätzliche Meinungen gab es aber natürlich auch. Einige waren optimistisch („Dia wissa schua, was sie tian!“, „Wir schaffen was Besonderes!“), andere eher kritisch („So a größenwahnsinniges Projekt!“, „Übernimmt sich die Gemeinde und die Seilbahn nit a bissla?“). Auch etwas naive Stimmen ertönten: „Ma, wenn ma gwusst hat, wia groaß die Baustelle isch,…!“ Verständlich, so ein großes Projekt, das das gesamte Dorf betrifft, hat es in der Vergangenheit noch nicht gegeben.
Nachstehend ein paar Anekdoten, die euch kurzerhand in die aufregende Zeit des U-Bahn-Baus in Serfaus versetzen. Auf in die 80er Jahre! Viel Spaß beim Lesen!
Pssst, ich bekomme Zwillinge
Die kalbende Kuh eines Bauern reagierte allergisch auf den Baulärm. Die Bauarbeiten mussten daher einen Nachmittag ruhen, damit die Kuh ihre Zwillinge zur Welt bringen konnte.
So ein Mist
Ein Serfauser Bauer warf wie gewohnt den Mist aus dem Stallfenster. Da sein Misthaufen dem U-Bahn-Tunnel weichen musste, landete der Mist direkt in der Baugrube. Die Bauarbeiter, die gerade betonierten, freuten sich wohl eher weniger über den Gruß von oben.
Neue Mauern und Zäune brauchte das Land bzw. Serfaus
Während der Baudurchführung mussten dem Großprojekt mehrere Gartenmauern und –zäune entlang der damaligen Hauptstraße (jetzt Dorfbahnstraße) weichen. Bei jedem Haus wurde ein Gutachten erstellt. Die ausführenden Firmen stellten nach Beendigung des Baus alle Mauern und Zäune wieder neu auf. Auch alle entstandenen Schäden an Hausmauern wurden behoben. Das Dorfbild verbesserte sich. Erst im Sommer 1986 erblühten die Serfauser Gärten wieder in ihrer ganzen Pracht. „Wenn tiats es den schiacha Bauzaun weg?“, das fragte sich Frau Lechleitner, eine Serfauser Hotelbesitzerin, als vor ihrem Haus ein „primitiver“ Zaun mit Nägeln und nicht mehr ihr hübscher Flechtzaun ihr Haus säumte. Das Serfauser Dorfbild war einst nur von diesen aufwendigen historischen Zäunen geprägt.
Wo ischn mein Hammer?
Während der Betonierungsarbeiten wurde so einiges an Werkzeug ein „Raub des Betons“. Beispielsweise fiel einem Bauarbeiter sein Hammer in den frischen Beton. Den konnte er wohl nicht mehr verwenden.
Zum Affen machen
Ein Serfauser machte sich wohl einen Spaß daraus und schrieb das Wort „Affe“ in den noch feuchten Beton. Was er von dem Großprojekt wohl hielt?
Mahlzeit
Bauarbeiter stärkten sich mittags unter anderem in der ehemaligen Metzgerei Lechleitner (heute Hotel DreiSonnen). Ein Bauarbeiter kann sich noch an eine Frau namens Berta erinnern, die in einem Lebensmittelladen im Dorfzentrum (heute M-PREIS) arbeitete.
Kruzifix noamol
Durch die Sprengarbeiten vor dem Haus von Franz Thöni fiel das Kruzifix von der Wand. Geschockt von dem vermeintlich schlechten Omen rief er: „Iatz isch aber Schluss“ und stellte sich kurzerhand in die Baugrube vor den Bagger. So ganz war er von dem Projekt noch nicht überzeugt? Um die Vibrationen so gering wie möglich zu halten, wurde in Bereich seines Haus mit einem teuren Spezialsprengstoff aus Japan gearbeitet. Es kam zu keiner Explosion, sondern der flüssige Sprengstoff wurde eingefüllt und dehnte sich anschließend aus. Franz freute sich natürlich darüber.
Eine wahrlich geladene Situation
Ein Hauseigentümer entlang der heutigen Dorfbahnstraße hatte Angst um sein Heim und sprang sogleich in die Baugrube und schnappte sich einen Sack Munition. Später gab er diesen aber wieder zurück und die Sprengarbeiten konnten fortgesetzt werden.
I han kua Wasser mehr
Für die Aushubarbeiten mussten die Leitungssysteme (Strom, Wasser, Kanal) verlegt werden und verliefen plötzlich oberirdisch, aber in diesem Fall konnte der U-Bahn-Bau nicht beschuldigt werden. Nach einem Lokalaugenschein von einem Installateur konnte festgestellt werden, dass das Wasserrohr eines Serfauser Hausherren lediglich verstopft war. Die U-Bahn war also aus dem Schneider.
mei Haustür geaht numma zua
Wie sehr die Bauerarbeiten die Bausubstanz der Häuser beeinträchtigte, zeigte der Bericht eines Serfausers, der plötzlich seine Haustür nicht mehr schließen konnte.
Franzl, des konn nit sein!?
Das neue Transportmittel musste geräuschlos sein und auch bleiben. So der Auftrag. Es gab aber Beschwerden. Mit seinem Ellbogen an der gemauerten Wand abgestützt, saß Franz in seinem Haus an der Dorfbahnstraße. Er ruhte sich aus. Genau diese gewohnte Sitzposition führte dazu, dass er den minimal wahrnehmbaren „Körperschall“ über das Bauwerk bzw. das Erdreich spürte. „Ok, nocha muas i mi holt andersch hersitzen“, glücklicherweise kam es schließlich zu einer friedlichen Einigung. In den ersten Betriebsmonaten wurden noch sehr viele Verbesserungen vorgenommen. Gut Ding braucht eben Weile.
Grenzen aufzeigen
Eine Serfauserin setzte sich nach der Bauverhandlung kurzerhand auf den Asphaltboden vor ihrem Haus und war von dort auch nicht so schnell wegzukriegen: „Da isch mei Grenz!“. Es musste bis zu den Hauswänden heruntergegraben werden. Die Hausherrin war wohl nicht einverstanden damit und teilte den Verantwortlichen mit, wie weit sie graben durften. Sie zeigte ihnen sprichtwörtlich die Grenzen auf.
In letzter Sekunde
Die Zustimmung einer älteren Serfauser Grundeigentümerin war noch ausstehend. Im letzten Moment stimmte sie dann aber doch zu. Hier stand wohl nicht im Vordergrund, dass sie das Projekt boykottieren wollte, denn viele Serfauser, die in ärmlichen Verhältnissen aufwuchsen, sahen eher ihren hart erarbeiteten Wohlstand gefährdet.
Salatgeschichten
Eine Serfauserin konnte nicht ohne ihren Salat. Auch nicht als vor ihrem Haus gesprengt wurde. Ihre grünen Lieblinge konnte sie nur über zwei Gerüstbretter erreichen. Zuerst Balancierkünste, dann Kochkünste. Der Zugang zu den Häusern war dabei zu jeder Zeit gewährleistet. Holzstege wurden für die Bewohner errichtet. Die Grubensicherung war aus heutiger Sicht natürlich undenkbar. Holzbretterzäune sollten die Bewohner und Gäste vor dem Fall schützen. Zu Unfällen sei es nie gekommen. Ein Zeitzeuge erinnerte sich auch an eine heitere Geschichte von Paula Purtscher, die neben der Kirche wohnte. Diese ereignete sich aber nach dem U-Bahn-Bau. Durch Sprengarbeiten bei ihrem Nachbar kamen ihre Schützlinge ins Rollen. Am Vortag setzte sie ihre Salatköpfe. Nach den Sprengungen lagen sie plötzlich neben ihrer Pflanzstelle.
Wia kimm i heit vr Schual huam?
Obwohl immer ein Weg nachhause führte, war der Heimweg für die Serfauser Schüler stets abwechslungsreich und abenteuerlich. Ein damaliger Volksschüler erinnerte sich lächelnd, dass er immer mit Überraschungen rechnen musste. „Innerhalb eines Vormittages hatte sich oft alles geändert. Man stand dann einfach vor vollendeten Tatsachen“. Die Baustelle glich einem Abenteuerspielplatz für die kleinen Zwerge. Der damalige Schüler gab zu, dass er hin und wieder die Baustelle von unten erkundete und etwa durch den Tunnel rannte. Die verärgerte Arbeiterschaft pfiff die Kinder dann wieder aus den Gruben.
Wassertanks auf Reisen
Zahlreiche Tests wurden vor der Eröffnung durchgeführt. Bevor Passagiere mitfahren durften, wurden zahlreiche Wassertanks in Reih und Glied aufgestellt:
18 Tonnen pro Wagen.
Den Marsch blasen
Die Musikkapelle Serfaus ließ sich für die Eröffnung der U-Bahn einiges einfallen und blies den Anwesenden sprichwörtlich den Marsch. Der „U-Bahn-Marsch“ wurde vom damaligen Kapellmeister komponiert.
Besuch aus Japan
Alfred Tschuggmall traf sich in Serfaus mit einer Delegation aus Japan, die von dem neuen Transportmittel begeistert war. Geschenke wurden einander gereicht. Die japanische Delegation bekam von der Region „a Packlta Ha (Heu)“ überreicht. Zwei Jahre nach der U-Bahn-Eröffnung in Serfaus schwebte in Tokio eine zweispurige Luftkissenbahn mit einer Förderleistung von 10.000 Personen pro Stunde.
Genaugenommen handelt es sich bei der U-Bahn Serfaus um eine Luftkissen-Standseilbahn. Bei ihr ersetzen Luftkissen die Laufräder, die sich unter den Wagons befinden. Mithilfe von Kompressoren wird ein hoher Druck in den Luftkissen erzeugt, wodurch die Liftkissen plötzlich „abheben“. Der Luftspalt zwischen Wagon und Tunnelboden beträgt aber lediglich 1 mm. Die zwei Wagen aus dem Jahre 1985 schwebten auf insgesamt 48 Luftkissen, die drei Wagons der neuen Bahn sind mit insgesamt 96 Luftkissen ausgestattet. Beachtlich wie die Luftkissen so viel Gewicht heben können. Die alte Bahn wog 36 Tonnen, die neue bringt schon 70 Tonnen (inkl. Fahrgäste) auf die Waage. Damit die Bahn nicht nur schwebt, sondern auch in Bewegung versetzt wird, ist ein Zugseil notwendig, dass sie von A nach B zieht. Das Seil wird auf insgesamt 426 Seilrollen geführt, die auf spezielle Wandhalterungen mit Gummipuffern montiert sind. Dadurch wird auch die Geräuschentwicklung minimiert.
(Fast) alles neu...
Die U-Bahn schrieb spannende Geschichten. Findet ihr nicht auch? Hoffentlich konnte euch die ein oder andere Anekdote ein Lächeln entlocken. Nun ist es an der Zeit, neue Geschichten zu schreiben. Auf geht's! Seit diesem Sommer schwebt die U-Bahn Serfaus im neuen Glanz! Gute Fahrt!
Für alle die noch nicht in den Genuss gekommen sind, den ersten Teil des U-Bahn Rückblick Blogs zu lesen: Einfach HIER klicken und schon geht es ab ins Lesevergnügen.